Wenn Blossfeldt auf Googie Style und Interaction of Color auf Star Wars trifft

Ein Werkstattgespräch zwischen Florian Waldvogel und Janine Eggert/Philipp Ricklefs

 

 

Florian Waldvogel: Gehen Euren Skulpturen und Objekten Konstruktionszeichnungen voraus?

 

Janine Eggert: Ja, zum einen verwenden wir Konstruktionszeichnungen ganz einfach als praktisches Mittel, die Arbeiten umzusetzen; dass man weiß, wo welche Schraube hingehört. Aber vor allem gehen den Skulpturen Zeichnungen als Entwurfs- und Visualisierungsmittel voraus, auch im Hinblick auf die Kommunikation untereinander.

 

Philipp Ricklefs: Der Entstehungsablauf der Objekte ist eigentlich so: Dialog, Skizze, Model, 3D Entwurf, 1:1 Test, konkrete Konstruktionszeichnung und dann die realisierte Arbeit. Die Zeichnung ist zwar der verbindliche Masterplan, aber durch das Konzept Kollaboration kommt der Entwicklungsprozesses nie zum Stillstand.

 

FW: Ich frage deshalb, weil ich beim Betrachten Eurer Arbeiten das Gefühl habe, dass es geometrische Zeichnungen sind, die sich mehrschichtig auflösen und verräumlichen.

 

PR: Schön, dass Du das so siehst. Die Geometrie dient in unserer gemeinsamen Arbeit, genauso wie in der einzelnen künstlerischen Produktion, als Ausgangspunkt für das Finden stereometrischer Gebilde. Unser Formprinzip von Gerüst bzw. Skelett als formgebendes Element ist vergleichbar mit der Zeichnung. Die Kubatur entsteht erst durch die Verwendung von Flächenmaterial.

 

FW: Ein wichtiger Aspekt Eurer Arbeit erscheint mir die Geometrie. Geometrie deshalb, weil sie sich dem flüchtigen Blick entzieht und ein analytisches Entziffern nur sukzessiv erlaubt?

 

JE: Geometrie ist für uns ein Werkzeug zur Schematisierung, eine Möglichkeit Körper in Modulen aufzubauen und eine industrielle Ästhetik zu erzeugen, die eine Handschrift - im Sinne von handgemacht – negiert. Diese polygonalen Volumen haben komplexe Ansichten und Blickachsen, sodass sie nicht mit nur einem Blick erfasst werden können. Ein Sich-Erschließen ist nur durch die eigene Bewegung im Raum möglich.

 

PR: Dieses Erfassen im Raum ist für den Betrachter ein performativer Akt. Die Arbeit wird schrittweise nachvollzogen von den Einzelteilen über die Module zur Skulptur. Es ist ein induktiver Prozess zum Gesamtbild.

 

FW: Geometrie als Alternative zum Bild, als kosmische Signatur? Eine Art Versuchung die durch die Abwesenheit des Bildes ausgelöst wird?

 

PR: Geometrie ist das Bedürfnis, die Umwelt zu entschlüsseln, mit Hilfe mathematischer Gesetze. Es geht darum, die Natur zu verstehen und nicht nachzuahmen. Sie bietet die Möglichkeit, ein Äquivalent zur Natur zu schaffen, das autonom ist, und nicht ein Abbild davon. Etwas Natürliches entsteht künstlich.

 

JE: Die Geometrie ist auf jeden Fall ein Gegenentwurf zum Bild. Sie ist strukturerzeugendes Mittel. Rhythmus, Form, Farbe sind visuelle Elemente, die für sich selbst stehen und die Konkretisierung der geistigen Form leisten. Die Arbeiten kommunizieren nicht über ein bestimmtes Bild, dass sie vermitteln, sondern durch die Parameter, die sie produzieren.

 

FW: Oder Geometrie als Einladung für den Betrachter die Formfrage semantisch aufzuladen?

 

JE: Das ist etwas, das geometrischen oder abstrakten Gebilden inhärent ist; das ist ein natürlicher Prozess der Wahrnehmung. Das steht aber nicht im Vordergrund unserer Arbeiten.

 

PR: Es ist so, dass es für viele Arbeiten konkrete Vorbilder gibt, die trotz formaler Reduktion erkennbar bleiben und als Einladung für den Betrachter funktionieren, in den Kosmos der Arbeit und dessen Semantik einzusteigen.

 

JE: Der Begriff kosmische Signatur bekommt dann eine andere Bedeutung. Da die Vorbilder der Arbeiten sich nicht bildhaft erschließen sonder strukturell, könnte man vielleicht sagen, dass ihre kosmische Signatur in der Arbeit steckt bzw. strahlt. Wie ein Planet, der ein bestimmtes Lichtspektrum aussendet und dadurch seinen Fingerabdruck hinterlässt, seine Signatur, hat die Concorde auch ihre ganz bestimmte Signatur, die ein Teil der Arbeit 'Polygon' ist.

 

FW: Wie wichtig ist für Euch das Konzept „Raum“?

 

PR: Das Konzept 'Raum' bzw. 'Ort' kommt auf mehreren Ebenen zum Tragen. Unsere gemeinsamen Arbeiten haben einen Ortsbezug, der in einer inhaltlichen Auseinandersetzung mit einem Ort der Kunstrepräsentation bzw.-produktion besteht. Die Architektur des Ortes, der Raum bestimmt dann die formale Umsetzung der Arbeit.

 

JE: So sind die Skulpturen zwar ausgehend von bestimmten Orten konzipiert, und der Ausstellungsraum ist strukturell ein Teil der Arbeit, aber die Konzepte Modularität und Reproduzierbarkeit machen die Arbeiten zu flexiblen, philosophischen Modellen, die anderen Raumverhältnissen angepasst werden können. Sie sind ortsbezogen aber nicht ortsgebunden.

 

PR: Zum anderen schaffen die raumgreifenden, begehbaren Installationen Architektur, die einen Raum der Interaktion zwischen Werk und Betrachter konstituiert. Die jeweiligen Bereiche, die in einer üblicherweise frontalen Begegnung miteinander keine Schnittmenge erleben, greifen ineinander. Als dreidimensionale Gebilde im Raum dringen die Arbeiten in den Bereich des Betrachters ein, als begehbare Räume umfangen sie ihn und er wird Teil von ihnen.

 

FW: Ist es ein künstlerischer Trick, das Eure Arbeiten einen abstrakten Charakter haben, wodurch bestimmte Themen in ihren geistigen Proportionen beschrieben und anschaulich gemacht werden können?

 

JE: Wieso Trick? Geometrismus als Äußerung geistiger Ideen hat uralte Tradition.

 

PR: Ich würde das eher als eine Methode betrachten, die einem ermöglicht, Ideen konkret zu formulieren in einer universalen Sprache.

 

JE: Geometrie ist genau dazu da, das Geistige, das Unsagbare zu formulieren. Der Anfang liegt bei kultischen Symbolen und entwickelte sich hin zur Schrift als Verständigungsform. Es sind die Gesetzmäßigkeiten der Geometrie, die sich in der Funktionsweise des menschlichen Verstandes widerspiegeln, und diese Tatsache macht das Lesen abstrakter Formen zu einem natürlichen Vorgang.

 

FW: Erweitert Ihr die Bezugsräume für das Bewusstsein von Ort und Thematik durch die Kombination aus Perspektiven von natürlichen und fiktiven Räumen?

 

PR: Der natürliche Raum gehört genauso zur Wahrnehmung eines stereometrischen Gebildes wie das Objekt selbst. Zur Bestimmung bzw. zum Verlassen eines Standpunktes dient der Raum als Bezugssystem und ist integraler Bestandteil der Arbeit.

 

JE: Das Konstruktionsprinzip von Gerüst und Schale erschafft Innen- und Aussenräume, die sich sehr unterscheiden. Die Innenräume sind aus ihrer Topologie herausgelöst

und liegen nicht mehr in der Realität des Ausstellungsraumes. Stattdessen simulieren sie einen fiktiven Raum, der die Perspektive auf den Ort und seinen Kontext erweitert.

 

FW: Ist dieser fiktive Raum ein Denkraum, so eine Art universelles Bezugssystem?

 

JE: Ja, dieser Raum ist ein Gefäß, das ein Bezugssystem konstituiert. Aber je nach Arbeit muss man dann eigentlich unterscheiden zwischen absoluten und relativen Räumen. Der Innenraum der Arbeit 'A Diamond As Big As The Ritz' ist wie das Universum als universelles Bezugssystem ein absoluter Raum, in dem das Geschehen nur in Bezug auf die Person stattfindet.

 

PR: Physikalisch wird das Rad durch die eigene Bewegung des Betrachters in Rotation versetzt. Aus seiner Perspektive kann er nicht feststellen, ob es das Rad ist, das sich bewegt, oder er sich selbst. Seine Bezugsgrößen sind nur er und der ihn umgebende Raum. Diese Situation schafft ein Bewusstsein von Relationen.

 

JE: Bei der Arbeit 'XEROX' hingegen gibt es mehrere fiktive Räume. Im ersten ist der Stern aus seinen Einzelteilen zusammengesetzt zu sehen und ermöglicht somit die Vorstellung vom zerlegten Zustand. Im zweiten Raum verhält es sich genau umgekehrt, der Stern ist zerlegt und in Gedanken zusammensetzbar. Es gibt dann einen dritten Raum, den eigentlich unmöglichen Raum, an dem von einem Standpunkt aus beide Phasen der Arbeit und ihre virtuellen Gegenstücke denkbar sind. Oben lebt die Katze und unten ist sie tot, zwei Aggregatzustände zur gleichen Zeit, ein Prinzip der Quantenmechanik.

 

FW: Könnte man auch von Referenzräumen sprechen, in deren universellem Bezugssystem von Themen, Kontexten, Zusammenhängen, Koordinaten, Daten und Wissen, wir uns trotz aller Komplexität zurecht finden können?

 

PR: Man kann sich darin zurechtfinden, da es um ganz grundlegende Erfahrungen geht und der Betrachter selbst entscheiden kann, wie weit er sich in den weiteren Kontext von Bezügen einbringen will.

 

FW: Seid Ihr damit einverstanden, wenn man bei Euren Arbeiten von symbolischen Orten sprechen würde, wo sich das Vergangene und Zukünftige trifft?

 

PR: Wir beschäftigen uns mit Utopien oder utopischen Ideen, vergangenen und gegenwärtigen, guten und schlechten gleichermaßen. Diese Wunschwelten werden nie zur Wirklichkeit, da sie als Utopie das Scheitern schon in sich tragen.

Da kann Blossfeldt auf Googie Style und Interaction of Color auf Star Wars treffen. Wir haben einen komprehensiven Blick auf die Formenwelt, der es uns ermöglicht, unabhängig von einem bestimmten Zeitkontext die Dinge zu betrachten. Dabei kommt es zur Transformation verschiedener Konzepte in eine autonome Formensprache.

 

FW: Glaubt ihr, das dieses spielerische Erfassen von Struktur in Eurer Arbeit daran liegt, das der Maßstab immer der Mensch ist?

 

JE: Der Ausgangspunkt ist immer die eigene Person und ihre Relation zur Umwelt. Das heißt, der Mensch mit seinen Proportionen steht im Mittelpunkt unserer Arbeiten. Die Benutzbarkeit der Arbeiten ermöglicht einen selbstverständlichen Umgang mit ihnen, fast wie alltägliche Gebrauchsgegenstände. Es gibt keine Barriere zwischen Werk und Betrachter, weder durch Maßstab noch durch die Form der Präsentation. Der erste Zugang findet direkt durch die Erfahrung statt und nicht über eine intellektuelle Übersetzung.

 

PR: Genauso barrierefrei gehen wir in Fabriken und spielen mit den Produktionstechniken.

 

FW: Sind Eure Arbeiten Angebote, die auf einer Wahrnehmungswelt basieren und uns eine flexible Betrachtung erlauben, ohne daß wir dafür einen festen Standort bzw. Perspektive einnehmen müssen?

 

JE: Ein bestimmter Standpunkt ist nicht das Entscheidende bei der Betrachtung unserer Arbeiten. Es ist viel mehr das Zusammenspiel mehrerer Möglichkeiten, bzw. Varianten des Erfahrens. Man könnte hier von verschiedenen Situationen bei der Auseinandersetzung mit der Arbeit sprechen im Sinne einer Versuchsanordnung, die keinen festen Standpunkt erlaubt.